5 Werkzeuge, um zu verhindern, dass das Oberwallis ein neuer Jura wird

Welchen Platz soll das Oberwallis in der künftigen Verfassung haben? Sagen Sie uns Ihre Meinung! Nachstehend ein Vorschlag als Beitrag zu dieser Debatte. Helfen Sie uns, ihn zu verbessern! Kommentieren Sie den Originaltext bis zum 10. Oktober. Ein französischer Text ist auch verfügbar.

Mont-Soleil, auf den Höhen von St-Imier, im Berner Jura. Hinter dem dunklen Wald erwacht ein grüner Berghang in der Frische des Frühherbstes. Unter den geschlossenen Fensterläden eines wunderschön geschmückten Chalets, als sich die letzten Blumen auf der Suche nach einigen Strahlen Sonnenlicht strecken, erschüttert eine Explosion die Ruhe des Tals. Fenster zerspringen. Glasscherben werden weggesprengt und fliegen über die Bäume, während eine schwarze Rauchsäule aus der entkernten Fassade aufsteigt. Es ist der 4. Oktober 1963. Das Chalet des Berner Ständerats Charles Jeanneret ist soeben explodiert. Am nächsten Tag wird die Berner Kantonalbank in Delémont durch eine Bombe zerstört. Vor Ort wurden Flugblätter gefunden. Der « Bombenleger » war ein Extremist der französischsprachigen Minderheit: Der Front de Libération du Jura. Die Problematik der Jura-Frage wurde dem ganzen Land schonungslos vor Augen geführt.

Damals machte die französischsprachige Bevölkerung des Juras 15 % der Berner Bevölkerung aus. Ein Jahrzehnt später entschied sich die Hälfte von ihnen dazu, einer Trennung von Kanton Bern zuzustimmen und den Kanton Jura zu gründen. Die andere Hälfte wird in Bern bleiben. Sie wird politische Instrumente erhalten, um ihren Status als sprachliche Minderheit in dem grossen deutschsprachigen Kanton anzuerkennen und zu schützen.

Das Wallis ist nicht der Jura. Es hat weder seine Geschichte noch seine kulturellen Brüche. Dennoch gibt es Spannungen zwischen den verschiedenen Sprachregionen des Wallis. Um ein jurassisches Szenario zu vermeiden, muss der Verfassungsrat eine solide Grundlage für den Zusammenhalt des Kantons schaffen.

Die Fakten: die Bevölkerungszahl schrumpft, der Handlungsbedarf steigt

Der Anteil des Oberwallis an der Gesamtbevölkerung beträgt heute 24 %. Da sich der vor 30 Jahren begonnene demografische Abschwung verschärft, könnte dieser Anteil in weniger als einer Generation unter 20 % fallen. Demografisch gesehen, ist eine Situation ähnlich derjenigen im Jura in Reichweite. Mittelfristig geht es um die Bedingungen für die politische Handlungskraft der sprachlichen Minderheit. Denn der Status der sprachlichen Minderheit ist die Besonderheit, die das Oberwallis von anderen Regionen des Kantons unterscheidet. Auch in Sitten ist das Chablais oft in der Minderheit, aber es handelt sich nicht um eine Region mit einer anderen Sprache. Es ist genau diese andere Sprache, die erklärt, warum das Oberwallis einen besonderen Schutz im Kanton braucht.

Der Eindruck, dass das Oberwallis die Walliser Politik im Würgegriff hat, hält sich hartnäckig – doch der Eindruck täuscht. Einerseits muss man anerkennen, dass die Oberwalliserinnen und Oberwalliser ihre politischen Rechte eifriger wahrnehmen. Dies lässt sich durch ein hohes Mass an politischer Homogenität und durch die Notwendigkeit erklären, « zusammenzuhalten », um die Verteidigung der gemeinsamen Interessen der sprachlichen Minderheit zu gewährleisten. Doch unabhängig von der Wahlbeteiligung wird der demografische Wandel in den nächsten 20 bis 50 Jahren unweigerlich zu einem Verlust des Einflusses des Oberwallis führen. Andererseits sind Diskussionen über Minderheitsschutzmassnahmen manchmal schwierig, weil das Oberwallis sowohl eine sprachliche Minderheit als auch eine Gruppe von vorwiegend konservativen Bezirken (hauptsächlich CVP, Schwarz-Gelb und SVP) ist. Die allgemeine Schwächung der Parteizugehörigkeit, aber auch die wirtschaftliche Entwicklung und die neuen Mobilitätsgewohnheiten der Oberwalliser (vor allem dank dem Lötschberg) werden die politische Landschaft diversifizieren. Wie das Wallis als Ganzes befindet sich auch das Oberwallis in sich in einem Prozess der politischen Annäherung an die anderen Kantone.

Die Grundsätze: Definition der kantonalen Einheit

In seinen Vorarbeiten hat der Verfassungsrat die Einheit des Kantons als Kardinalwert festgelegt und die kulturelle Vielfalt und die Zweisprachigkeit als wesentliche Vorzüge unseres Kantons anerkannt. Ihre Erhaltung und Pflege bringt allen Bewohnenden des Kantons, seinem Image, seiner Gesellschaft und seiner Wirtschaft Wohlstand. Auf nationaler Ebene wird das Wallis auch seine Rolle als sprachlicher, kultureller, politischer und wirtschaftlicher Vermittlungskanton stärken.

Es ist jedoch wichtig, an dieser Stelle daran zu erinnern, dass der Zusammenhalt und die Einheit des Kantons nicht selbstverständlich sind: Es reicht nicht aus, sie zu proklamieren, damit sie Wirklichkeit werden. Vielmehr müssen sie in einer Reihe von demokratischen Grundsätzen und politischen Spielregeln, die für den ganzen Kanton gelten, konkretisiert werden. Sich hinter dem Argument zu verstecken, dass « die Oberwalliser nur für sich selbst sorgen müssen », bedeutet, die Idee aufzugeben, zu definieren, was die kantonale Einheit ausmacht. Wir sind, im Gegenteil, davon überzeugt, dass solche Grundsätze und Spielregeln notwendig sind. Wenn wir einen geeinten und starken Kanton wollen, um unser gemeinsames Schicksal zu meistern, muss die Situation der sprachlichen Minderheit im Mittelpunkt unserer Bestrebungen stehen: Immerhin steht der Zusammenhalt des Kantons auf dem Spiel.

Die Spielregeln: ein moderner und geeinter Kanton

Der Verfassungsrat arbeitet an der Festlegung von Grundsätzen und Regeln, die für den Kanton und seine Akteure gelten sollen. Die Grundsätze, die in direktem Zusammenhang mit staatsrechtlichen Grundwerten (Demokratie, politische Rechte) stehen, müssen im gesamten Kanton geachtet werden. Dies betrifft insbesondere die Verteilung der Sitze im Grossen Rat (wie fast überall in der Schweiz, entsprechend der Wohnbevölkerung), die Voraussetzungen für eine wirksame und repräsentative Demokratie in den Gemeinden (mit der Einrichtung eines Generalrats in den grösseren Gemeinden), die Fähigkeit der Gemeinden, ihre Verantwortung gegenüber den BürgerInnen wahrzunehmen, robuste Rechtsinstitutionen von der lokalen Justiz bis zum kantonalen Gericht und die gerechte Vertretung der Vielfalt der Bevölkerung in den Behörden. Zusammen mit anderen bilden diese Spielregeln die gemeinsame Grundlage für einen modernen und geeinten Kanton.

5 Institutionelle Instrumente: Schutz der Minderheit zur Sicherung des Zusammenhalts

Auf dieser Grundlage müssen einige spezifische Instrumente zum Schutz der sprachlichen Minderheit eingeführt werden. Solche Instrumente stärken die Legitimität politischer Entscheidungen und sichern die Entwicklung des kantonalen Zusammenhalts. Wir unterbreiten hier fünf Vorschläge als Beitrag zu dieser Debatte:

  • Grosser Rat: Mechanismus zur Abfederung des Sitzverlustes des Oberwallis im Verhältnis zur sinkenden Bevölkerungszahl
  • Staatsrat: Garantie von 2 der 7 Sitze für das Oberwallis
  • Ständerat: Förderung eines Sitzes für jede Sprachregion
  • Dezentralisierung der öffentlichen Einrichtungen im ganzen Kanton
  • Respekt vor den Kantonssprachen und Förderung der Zweisprachigkeit

=> Grosser Rat: Ein Mechanismus zur Abfederung des Sitzverlustes wurde von der Kommission 7 des Verfassungsrates vorgeschlagen. Dieser einvernehmliche Vorschlag weist einige interessante Merkmale auf:

  • Die Abfederung selbst: Bei weniger als einem Viertel der Bevölkerung wird der Verlust an Sitzen für das Oberwallis halbiert, um den Verlust an politischer Vertretung zu verringern
  • Eine Mindestschutzschwelle für den Fall eines massiven Bevölkerungsrückgangs im Oberwallis: Diese Berechnungsmethode garantiert dem Oberwallis eine Mindestanzahl von Sitzen, egal was passiert.

Mit diesem Mechanismus wird der Fallstrick einer strengen Quote (an der die R21-Reform gescheitert ist) vermieden. So behält beispielsweise Bern dem Berner Jura, der 5 % der Bevölkerung stellt, eine strenge Quote von 7,5 % der Sitze vor, während die Gesamtzahl der französischsprachigen Bevölkerung im Kanton etwa 10 % beträgt.

Das Instrument ist Teil der Spielregeln, die für den ganzen Kanton gelten, insbesondere für die Verteilung der Sitze im Grossen Rat nach der Wohnbevölkerung. In der bisherigen Verfassung wurde nur die Schweizer Bevölkerung berücksichtigt. Von den Beschlüssen des Grossen Rates sind jedoch alle Bewohnenden des Kantons betroffen. Aus Respekt vor den demokratischen Grundsätzen ist es notwendig, diese bei der Berechnung der Grösse der regionalen Delegationen zu berücksichtigen. Fast alle Kantone tun dies, ebenso wie der Nationalrat seit 1848. Da das Oberwallis einen tieferen Ausländeranteil hat (ca. 16 %) als das französischsprachige Wallis (ca. 24 %), könnte diese Änderung der Berechnungsgrundlage das Oberwallis einen oder zwei Sitze kosten, trotz des geplanten Abfederungsmechanismus. Kurzfristig soll der Verfassungsrat eine Übergangsbestimmung einführen können, die einen reibungslosen und nahtlosen Übergang zum neuen System gewährleistet. Langfristig (ab 2030) ist dieses neue System, das einen Ausgleichsmechanismus für den Verlust von Sitzen vorsieht, ein besserer Schutz für das Oberwallis als eine Verteilung auf der Grundlage der Schweizer Bevölkerung.

=> Staatsrat: Der Entwurf sieht mindestens einen Sitz pro Region (Ober-, Mittel-, Unterregion) vor, bei insgesamt 7 Sitzen. Der Verfassungsrat sollte darüber diskutieren, diese Zahl für das Oberwallis auf zwei zu erhöhen. Die zwei anderen Regionen benötigen nicht mehr Schutz als je einen Sitz. Dies ergibt eine Zusammensetzung von zwei französischsprachigen Sitzen, zwei deutschsprachigen Sitzen und drei weiteren freien Sitzen, die durch die Wahlen französischsprachig werden. Bern reserviert 1 von 7 Sitzen (14%) für den Berner Jura (5% der Bevölkerung).

=> Ständerat: Die Walliser Delegation setzt sich traditionell aus einem französischsprachigen und einem deutschsprachigen Mitglied zusammen. Diese Konstellation ist ein Vorteil für unseren Kanton im Parlament. Hier müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass die Bundespolitik in deutscher Sprache geführt wird und dass die französischsprachige Mehrheit im Wallis in Bern eine Minderheit darstellt. Im Ständerat sitzt nur ein Dutzend Französischsprachige; dies entspricht nur einem Viertel des Saals. Mit einer gut integrierten Person in der französischsprachigen Minderheitsdelegation und der anderen in der deutschsprachigen Delegation kann das Wallis eine wichtige Schlüsselrolle spielen, um die Bundespolitik entscheidend zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang scheint es sowohl gerecht als auch strategisch interessant zu sein, für jede Sprachregion einen Sitz garantieren zu versuchen. Um die volle demokratische Legitimation der Gewählten zu gewährleisten, wird die Wahl im ganzen Kanton und nicht in zwei getrennten Wahlkreisen durchgeführt. Die rechtliche Möglichkeit dieses Szenarios sollte vom Verfassungsrat sorgfältig geprüft werden, auch im Hinblick auf die Achtung des übergeordneten Rechts.

=> Dezentralisierung der Institutionen: Die öffentlichen Institutionen der Kantone sollten über das gesamte Gebiet verteilt sein. Unser Modell sollte nicht zentralistisch organisiert sein wie beispielsweise in Frankreich, wo jede Entscheidung in Paris gefällt wird. Wie im Vorentwurf vorgesehen, müssen die Dienststellen der Verwaltung und die öffentlich-rechtlichen Einrichtungen auf die Regionen verteilt werden. Besondere Aufmerksamkeit muss der sprachlichen Minderheit gewidmet werden.

=> Achtung der Sprachen und Förderung der Zweisprachigkeit: Die Verbesserung der Fähigkeit der Menschen, über die Raspille hinweg zu kommunizieren, sollte eine Priorität sein. Diese Priorität ist nicht auf den Bereich der Schule beschränkt, sondern sollte das gesamte wirtschaftliche, kulturelle und politische Leben umfassen. Diese Fähigkeit, mit anderen in ihrer eigenen Sprache zu kommunizieren, wird durch den Respekt unterstützt, den man diesen Sprachen entgegenbringt. So wird im Vorentwurf der Schutz der Sprachenfreiheit als Grundrecht erwähnt.

Damit Brig kein neues Delémont wird

Um die Einheit und den Zusammenhalt des Kantons zu erreichen und zu fördern, muss das Wallis klare Spielregeln aufstellen und der sprachlichen Minderheit einen fairen Schutz bieten. Als Mehrheit hat das französischsprachige Wallis eine besondere Verantwortung gegenüber der sprachlichen Minderheit. Das Oberwallis muss seinerseits bereit sein, der Idee der kantonalen Einheit gerecht zu werden, indem es die Spielregeln akzeptiert, die einen modernen, vereinigten Kanton auszeichnen. Die Grundsätze, die in direktem Zusammenhang mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen stehen, gelten für das gesamte Gebiet.
Die kantonale Einheit und der Zusammenhalt werden nicht nur durch den Sprachaustausch in der Sekundarschule oder die jährlichen Skireisen ins Goms gepflegt, sondern auch im Alltag und in den Institutionen – und damit auch in der Politik. Von einem starken und geeinten Kanton können alle Einwohnerinnen und Einwohner profitieren.

Die Geschichte des Juras sollte uns als Inspiration dienen. Und als Warnung.

 

Florian Evéquoz, Jean BonnardCelina RamsauerVincent LuyetJohan Rochel

Es liegt an Ihnen, diesen Vorschlag zu verbessern: Ihre Kommentare hier.

 

(Bild: SP St-Imier)